Verwiesen sei noch auf Ottos Engagement für figurative
Lösungen des Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin und in
Leipzig, an beiden Wettbewerben hat er sich mit großem
Engagement und Einsatz, trotzt seines inzwischen hohen
Alters beteiligt. Mit großer Intensität und
leidenschaftlicher Hingabe hat er in diese Wettbewerbe
investiert und mit Worten gestritten.

Szenario Nicolaikirche Leipzig, 2012, Bronze, 20 x 74 x 25 cm
Seine
bildhauerischen Lösungen stellen jene Menschen in den
Mittelpunkt der plastischen Ensembles, die im Herbst 1989
das gesellschaftliche System in der DDR zum Einsturz
brachten. Doch der Mainstream entschied sich für die »Wippe«
in Berlin und die »Apfelplantage“ in Leipzig«, die nun
allerdings nicht realisiert wird.
Mit diesem Mainstream im Kunstbetrieb setzte sich Otto in
seiner Werkgruppe „Zeitgenossen“ auseinander.
Leichnam des Propheten, Bronze, Höhe: 46 cm /
Der Kurator, Bronze, Höhe: 30,3 cm / Sakrileg,
Bronze, Höhe: 66 cm
Darunter ist die köstliche Plastik »Sakrileg«. Waldemar Otto
hat sich maßstabsgerecht das berühmte Urinal von Marcel
Duchamp aus dem Jahre 1917 aus Porzellan nachbauen lassen
und stellt davor eine in dieses Heiligtum pinkelnde Figur,
sich dabei genussvoll im Spiegel betrachtend.
Das Pissoir von Duchamp und die Fettecke von Beuys haben in
der Folge Kunstverständnis und Kunstbetrieb entscheidend
verändert.
In dieser Werkgruppe zeigt Waldemar Otto seine karikative
bis bissige Seite.
Kurz vor der Vernissage seiner Ausstellung zum 90.
Geburtstag im stilwerk Berlin schuf Waldemar Otto die
Plastik „Merzwaage“.

Merzwaage, 2019, Bronze, Höhe: 20 cm
Die „Merzwaage“ stellt das Übergewicht des Kapitals
gegenüber den Interessen von Arbeitern und Rentnern dar. Auf
dem kürzeren Ende der Wippe, die am Boden haftet, sitzt
Friedrich Merz und auf dem längeren Teil verhungern oben die
Arbeiter und die Rentner. „Verhungern lassen“ nennen es die
Kinder, wenn sie dem Gegenüber auf der Wippe nicht mehr
herunterwippen ließen und dieser sich nicht traute von oben
herunterzuspringen.
Sicher eine eher narrative-agitatorische Zielsetzung für
eine Plastik, aber das gehört eben auch zu jenen Werken, mit
denen Otto an die Grenzen der Bildhauerei ging. Merz als
Bundeskanzler hat er nicht mehr erlebt.