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Newsmail Kunsthandel Dr. Wilfried Karger
 

22.5.2025

Newsmail 03/2025

Sehr geehrte Damen und Herren,

am 8. Mai diesen Jahres jährte sich zum fünften Mal der Todestag des Bildhauers Waldemar Otto, einem bedeutenden Vertreter der figurativen Bildhauerei in Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die er wesentlich mitgeprägt har, als Künstler, als Lehrer sowie als Initiator und Organisator des Bremer Bildhauerpreises mit den Ausstellungen auf dem Wall.

Waldemar Otto zur Finissage seiner Ausstellung im stilwerk zu seinem 90. Geburtstag 2019 – wahrscheinlich sein letzter öffentlicher Auftritt

Geboren ist Waldemar Otto am 30. März 1929 in Pettikau, heute Polen. 1945 floh die Familie Otto nach Halle an der Saale. Nach dem Abitur begann Otto ein Studium der Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg bei Alexander Gonda. Zu gleicher Zeit lehrten an dieser Hochschule auch Richard Scheibe, Gustav Seitz und Waldemar Grzimek. 1955 begann seine freischaffende Tätigkeit in Berlin.
Nach einer kurzen Zeit als wissenschaftlicher Angestellter an der Architekturfakultät der Technischen Universität in Braunschweig erhielt Waldemar Otto 1973 einen Ruf als Professor an die Hochschule für Künste in Bremen. 1976 ließ er sich in Worpswede nieder.
Soweit einige wichtige Daten aus der Vita von Waldemar Otto.

Die Schaukel, 1963, Bronze, Höhe: 67 cm

1966 schuf Waldemar Otto die Plastik „Eva II“, die von Eberhard Rothers, dem Gründungsdirektor der Berlinischen Galerie, als Schlüssel zum Gesamtwerk Waldemar Ottos bezeichnet wurde. Diese Eva ist zum Zeichen für die endgültige Verbannung geworden, ein Zurück gibt es nicht mehr.
Die Schaukel aus der gleichen Zeit thematisiert mit dem Torso den menschlichen Rest nach Verfolgung und Marter. Die Entscheidung für den Torso ist hier keine ästhetische mehr, sie ist ein Schrei.
Mit diesen Plastiken erweckte Otto erstmals großes öffentliches Interesse, mit ihnen hat er sein Programm gefunden, plastische Form in Verbindung mit der Figur zu neuem Inhalt zu vereinen.

Danach arbeitete er in zeitlicher Reihenfolge u. a. an folgenden Werkgruppen:
„Figuren mit Wänden“, „Mensch und Maß“, „Torsi“, „Gewandfiguren“, „Männer“ und „Alte Männer“, „Zeitgenossen“

 

Eva II, 1965 - 1966, Bronze, Höhe: 103 cm
 

 größere Fassungen (der kleinen Werkabbildungen) auf die Bilder klicken

 

Mann aus der Enge heraustretend, 1971/72, Bronze, Höhe: 300 cm
Großer bekleideter Mann zwischen Wänden, 1973, Bronze, Höhe: 300 cm
Mann im Gerüst, 1970, Bronze, Höhe: 269 cm

In der Werkgruppe „Figuren und Torsi mit Wänden“ befasste sich Waldemar Otto in den siebziger Jahren mit dem Problem des Verhältnisses von Figur und Raum. ein generelles Problem dreidimensionaler Kunst, Otto bemisst den Raum eng, der Mensch muss sich aus diesem befreien. Der Mann durchschreitet die Tür, der Mann ist bedrängt durch die Wände usw. Otto lädt das formale Thema Figur und Raum inhaltlich auf, indem er es sozial determiniert.

Gedrehter Torso XVIII, 1994 Bronze, Höhe: 53 cm
Kleiner männlicher Torso, 1993, Bronze, Höhe: 20,5 cm
Weiblicher Torso XXI, 1998, Bronze, Höhe: 66 cm

Mit der Werkgruppe der „Torsi“, 1993 bis 1998, entdeckte Waldemar Otto für sich das Modellieren mit den vier bis fünf Zentimeter starken Wachsplatten, die für das Wachsauschmelzverfahren beim Bronzeguss verwendet werden. Durch die Handwärme geschmeidig gemacht, durch Drücken oder Ausbuchten erzeugt er auf knappste Weise die Wölbungen menschlicher Körper. Die Torsierung wird hier zur Quintessenz des Körperlichen an sich.

Doch die Volumina gewinnen unvermutete Spannungen:
– ein leichter Knick erreicht die Dimension eines Zweifels,
– eine leichte Drehung im Körper die Größe einer grundsätzlichen Infragestellung,
– und eine leichte Achsenverschiebung wird ein Zurückweichen vor dem Kommenden.

Feinste menschliche Regungen kann er so mit knappsten Mitteln sichtbar machen.


Figur mit Gewand IX, 2004, Höhe: 102 cm
Figur mit Gewand VI, 2003, Bronze, Höhe: 56 cm
Figur mit Gewand XXIII, 2004, Bronze, Höhe: 62 cm

Auf die Torsi folgten die „Gewandfiguren“. Das Spiel zwischen Körper und Gewand hat in der bildenden Kunst eine lange Tradition. Deren Werke gewinnen aus einem voyeurhaften Blick durch das Gewand auf den Körper ihre Erotik.
Waldemar Otto dagegen verhüllt den Körper gänzlich. Er ist lediglich durch das Gewand zu spüren, aber nicht zu sehen. Seine Gewandfiguren zielen auf eine große geschlossene Form, voller Harmonie, befreit von allen Zwängen, ausgeglichen und melodisch.
Und die Gewandfiguren wären nicht von Waldemar Otto, wenn zum Schluss nicht nur noch das Gewand selbst stehen bliebe. Aber welche Sinnlichkeit des weiblichen Körpers strahlen diese puren Gewänder noch aus!

Mann stehend II (Singender), 2006, Bronze, Höhe: 60 cm
Moltanteser Bürgermeister, 2005, Bronze, Höhe: 38,5 cm
Mann mit der Flasche, 2006, Bronze, Höhe: 45 cm

Nach „Glorifizierung“ des verhüllten weiblichen Körpers wendet sich Waldemar Otto den Männern zu. Aus ihnen spricht eine feine Beobachtung menschlichen Gebarens. Gerade bei den Männerfiguren ist deren Habitus von Bedeutung. „Redender“, „Raucher“, „Singender“, „Mann mit der Flasche“ oder „Bürgermeister“ sind durch charakteristische Körperhaltungen gezeichnet. Männer charakterisieren sich wohl eher durch ihren Habitus, weniger durch ihr Make-up. Waldemar Otto weiß diesen Habitus plastisch zu erfassen und kann lächeln über die Männer.

Vielleicht war es die Überwindung seiner langen schweren Krankheit, die ihn von den Männern zu den alten Männern führte. Für diese erfindet er die konkave Plastizität, die sich nach innen wölbt, nicht in den Raum hinein.

Alter Mann II, 2008, Bronze, Höhe: 60 cm  / Alter Mann und Hund, 2008, Bronze, Höhe: 33 cm

Sitzender Alter, 2008, Bronze, Höhe: 18 cm

Die alten Männer prahlen nicht, sie sind in ihrer Zurückgenommenheit einfach da und in der versöhnlichen Gelassenheit des Alltäglichen schwingt eine feine Nuance von Ironie.

Sitzende Iphigenie VI, 2010, Bronze, Auflage 12, Höhe: 20 cm
Nereus, 2000, Bronze, Auflage 15, Höhe: 14,5 cm
Kleine Aphrodite, 1986 - 88, Bronze, Auflage: 12, 29 x 9 x 6 cm

Mit Agamemnon, Iphigenie, Bachus, Nereus und Aphrodite nutzt Waldemar Otto auch gerne die Symbolkraft der Mythologie, um auf eine weitere Spielart Ottos im Umgang mit dem Stoff  zu verweisen.
Verwiesen sei noch auf Ottos Engagement für figurative Lösungen des Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin und in Leipzig, an beiden Wettbewerben hat er sich mit großem Engagement und Einsatz, trotzt seines inzwischen hohen Alters beteiligt. Mit großer Intensität und leidenschaftlicher Hingabe hat er in diese Wettbewerbe investiert und mit Worten gestritten.

Szenario Nicolaikirche Leipzig, 2012, Bronze, 20 x 74 x 25 cm

Seine bildhauerischen Lösungen stellen jene Menschen in den Mittelpunkt der plastischen Ensembles, die im Herbst 1989 das gesellschaftliche System in der DDR zum Einsturz brachten.
Doch der Mainstream entschied sich für die „Wippe“ in Berlin und die Apfelplantage“ in Leipzig, die nun allerdings nicht realisiert wurde.

Mit diesem Mainstream im Kunstbetrieb setzte sich Otto in seiner Werkgruppe „Zeitgenossen“ auseinander.

Leichnam des Propheten, Bronze, Höhe: 46 cm  /  Der Kurator, Bronze, Höhe: 30,3 cm  /  Sakrileg, Bronze, Höhe: 66 cm

Darunter ist die köstliche Plastik »Sakrileg«. Waldemar Otto hat sich maßstabsgerecht das berühmte Urinal von Marcel Duchamp aus dem Jahre 1917 aus Porzellan nachbauen lassen und stellt davor eine in dieses Heiligtum pinkelnde Figur, sich dabei genussvoll im Spiegel betrachtend.
Das Pissoir von Duchamp und die Fettecke von Beuys haben in der Folge Kunstverständnis und Kunstbetrieb entscheidend verändert.
In dieser Werkgruppe zeigt Waldemar Otto seine karikative bis bissige Seite.

Kurz vor der Vernissage seiner Ausstellung zum 90. Geburtstag im stilwerk Berlin schuf Waldemar Otto die Plastik „Merzwaage“.

Merzwaage, 2019, Bronze, Höhe: 20 cm

Die „Merzwaage“ stellt das Übergewicht des Kapitals gegenüber den Interessen von Arbeitern und Rentnern dar. Auf dem kürzeren Ende der Wippe, die am Boden haftet, sitzt Friedrich Merz und auf dem längeren Teil verhungern oben die Arbeiter und die Rentner. „Verhungern lassen“ nennen es die Kinder, wenn sie dem Gegenüber auf der Wippe nicht mehr herunterwippen ließen und dieser sich nicht traute von oben herunterzuspringen.
Sicher eine eher narrative-agitatorische Zielsetzung für eine Plastik, aber das gehört eben auch zu jenen Werken, mit denen Otto an die Grenzen der Bildhauerei ging. Merz als Bundeskanzler hat er nicht mehr erlebt.


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich hoffe, Sie hatten Freude an dem Überblick über die vielen Plastiken, die Waldemar Otto geschaffen hat.

Doch die wichtigsten Arbeiten hat er für den öffentlichen Raum in vielen deutschen Städten geschaffen.

Dabei hat er ganz unterschiedliche Wege beschritten, viele plastische Möglichkeiten untersucht, um seine Kunst inhaltlich wirken zu lassen, figürlich detailliert bis fast abstakt in der großen Form, mit vielen Variationen dazwischen hat er seinem ganz eigenem Formencanon geprägt.

Er war ein entschiedener Vertreter einer figurativen Bildhauerei, die auf den Formerfahrungen des 20. Jahrhunderts basiert.

Das Bild vom Menschen trägt sein Werk, es macht sichtbar, was man nicht sehen kann.

 

 

Grabstätte Waldemar Ottos in Worpswede

In Kürze werde ich Ihnen aus dem Nachlass wieder einige Plastiken von Waldemar Otto anbieten können. Ein bisschen Geduld ist noch nötig. Vorfreude ist auch schön.

Ich wünsche Ihnen noch angenehme Frühlingstage und verbleibe mit herzlichen Grüßen

Ihr Wilfried Karger

 

Allgemeine Information im Internet unter www.kunsthandel-karger.com sowie bei facebook und Instagram

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