Sehr geehrte Damen und Herren,
wie angekündigt gilt dieser Newsletter dem
Gedenken des Berliner Bildhauers Joachim Dunkel,
dessen Geburtstag sich am 19. Juli zum 100. Mal
jährte.
Joachim Dunkel, studierte nach Kriegsdienst und Gefangenschaft
an der Hochschule für Angewandte Kunst in Berlin-Weißensee,
danach an der Hochschule für Bildende Künste in
Berlin-Charlottenburg, wo er Meisterschüler von Bernhard
Heiliger wurde. Er erhielt Stipendien, u. a. von Seiten der
Studienstiftung des Deutschen Volkes und Preise, so den Rompreis
Villa Massimo, den Georg Kolbe-Preis und den Kunstpreis für
Großplastik des NOK.
Der Ort seines Schaffens blieb in der Folge
Berlin, wo dann 1974 die Berufung in eine Professur an der
Charlottenburger Hochschule erfolgte. Joachim Dunkel lehrte
»Zeichnen und Modellieren nach der Natur« im Bereich visuelles
Gestalten, als Gastdozent war er tätig an den Akademien von
Breslau/Wrocław und Besançon. Die Münchener Sezession und die
Neue Darmstädter Sezession wählten ihn zum Mitglied. |
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In Berlin ist Joachim Dunkel sowohl im Stadtraum als auch in
öffentlichen Sammlungen präsent.
Das weite Spektrum seiner Arbeiten für den Freiraum umfasst u.
a. vier Attika-Figuren auf dem Schloss Charlottenburg, eine
»Spiellandschaft mit Fabeltieren« an der Lankwitzer
Kindertagesstätte Frobenstraße, »Europa und der Stier« am
Gewerbezentrum Pankow (Französisch-Buchholz), »Sonne, Mond und
Sterne. Sechs Gestirne« für die Hans-Scharoun-Siedlung am
Heilmannring (Charlottenburg Nord).
2002 ist Joachim Dunkel in Berlin verstorben.

Liegende auf schmaler Plinthe, 1996, Bronze, 27 × 80 × 25 cm
Prof. Dr. Börsch-Supan zur Vernissage der Ausstellung
»inwendig voller Figur – Joachim Dunkel: Zeichnung – Plastik
– Holzschnitt« in der Galerie am Gendarmenmarkt vom 16.
Mai bis 1. Juli 2007:
»›inwendig voller Figur‹, dieses Wort Albrecht Dürers, mit
dem er das Wesen des Künstlers aus der neuen Sicht der
Renaissance benannt hat, trifft über die Spanne eines halben
Jahrtausends hinweg auf Joachim Dunkel in besonderem Maße zu
und bezeichnet damit seinen Platz in einer heute nicht mehr
selbstverständlichen Traditionslinie.
Dürers Wort zielt auf den Zusammenhang der Innenwelt des
künstlerischen Individuums mit der Außenwelt, die wir
genießen, bewundern, die uns aber auch bedroht und bedrängt.
Dürer sah Gott, den Schöpfer der Welt, als einen Künstler
und so war der schöpferisch tätige Mensch in höherem Sinn
das Ebenbild Gottes als der profane Nichtkünstler. … «
Große weibliche Figur, stehend an Stuhl, 1994,
Bronzeguss/Farbfassung (Neuguss ohne farbige Bearbeitung), 170 ×
53 45 cm
Große weibliche Figur, sitzend auf Hocker, 1991, Bronze, 129 ×
41 × 86 cm
»… Wie Dürer dachte Joachim Dunkel eher nicht. Seine Werke sind
aus seinem Inneren, aus innerer Notwendigkeit heraus geboren,
doch können sie nicht dem Anspruch gerecht werden, eine als
Kunstwerk verstandene Welt zu spiegeln. Er hat hingesehen, in
sich aufgenommen, das Beobachtete in langen, oft schmerzhaften
Prozessen in sich verarbeitet und in die Welt gesetzt. … Die
Figur, das zentrale Thema der Dunkelschen Kunst, ist mehr als
eine menschliche Gestalt, woran wir heute allerdings zuerst
denken, wenn wir im Bereich der Skulptur sprechen, oder uns gar
in den gegenwärtig so überaus wichtigen Bereichen der Kosmetik
oder des Outfits bewegen. Inwendig voller Figur und Outfit,
welcher Kontrast.«
Mars und Venus, 1998, Bronze auf Holz, 35 × 25,5 × 15,5 cm /
Urteil des Paris, 1964, Bronze, 44 × 40 × 19 cm
größere Fassungen (der kleinen Werkabbildungen): auf
die Bilder klicken
»… Figur ist immer geordnete Form, die aus dem Chaos, dem
Beliebigen, Zufälligen sich herauskristallisiert. Figur ist
immer begrenzt. Inwendig voller Figur heißt also auch vom Drang
beseelt, dem Chaos etwas Geordnetes, Gestaltetes abzuringen. Das
hat Dunkel, seit er sich als Künstler fühlte, sein Leben lang
gemacht. Es scheint mir die Triebkraft seines Schaffens gewesen
zu sein, an dessen Ende aber nie - und das unterscheidet ihn von
Dürer - etwas Vollendetes, Makelloses, Vollkommenes steht.«

Mittelgroße liegende weibliche Figur, 1981, Bronze auf Holz, 22
x 58 × 32 cm
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Seine Werke sind immer Aufbruch in einem
doppelten Sinn: Aufbruch als Anfang eines
Prozesses, der zu keinem definitiven Ende
gelangt, und Aufbruch als Durchbrechen einer
geschlossenen Oberfläche, das Abweisen von allem
Oberflächlichen. Etwas von innen Kommendes
arbeitet sich wie eine Pflanze stetig nach oben.
Mir fällt dazu das Bild der Grasbüschel ein, die
eine Asphaltdecke durchbrechen.
… Dunkel hat in seinen Arbeiten stets alles
Glatte, von dem ein haptischer Reiz ausgeht,
vermieden. Mit dieser Haltung entfernte er sich
von seinem erfolgsgewohnten Lehrer Bernhard
Heiliger. Keine der Figuren Dunkels ist das, was
man einen Handschmeichler nennt, obgleich die
gestaltende Hand in den Skulpturen wie in den
Zeichnungen stets gegenwärtig ist. Seine Figuren
scheinen zu vermitteln: „Rühr mich nicht an!“
Sie sind verletzt und drohen, den zu verletzen,
der sie anrührt. …
… Unter dem statisch Leichten jedoch schwang
stets eine tiefe Trauer. Sie ist in allen seinen
Figuren zu spüren. Ich kenne keine, die
selbstbewusst posiert, keine, die unversehrt
ist. Dieses Lebensgefühl äußert sich in der
Handschrift, die zwar von eminentem anatomischen
Wissen gesteuert ist, sich aber immer wieder
befragt, das soeben Gesetzte verändert, ja
auszustreichen scheint, und nicht minder
deutlich ist es in den ikonographischen Inhalten
zu fassen. |
Mittelgroße weibliche Figur (en zigzag), 1989, Bronze,
Bronzeguss
Farbfassung (Neuguss ohne farbige Bearbeitung), 48 × 40 × 40 cm
Die Kreuzigungen etwa sind weder Lösungen von Formproblemen noch
theologische Aussagen: Sie sind Darstellung von zutiefst
empörenden barbarischen Handlungen. Analog ist das Thema des
Trojanischen Krieges behandelt und mit ihm sind natürlich die
Kriege unserer so fortgeschrittenen Zeit gemeint. Als bildender
war Dunkel auch ein gebildeter Künstler, doch mehr mit tiefem
als mit horizontal schweifendem Blick.
Kreuzigung III, 1968-71, Bronze, 44 × 33 × 23 cm auf Treibholz
und Eisenplinthe / Kreuzigung VIII, 1978,Bronze,95 × 62 × 17 cm
Kreuzigung VII, 1978, Bronze, H: 68 (ohne Konus-Sockel H: 48)
Joachim Dunkel:
inwendig voller Figur
war 2007 eine programmatische Ausstellung des
plastischen Werkes von Joachim Dunkel in der
Galerie am Gendarmenmarkt mit einer programmatischen
Laudatio von Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan, der
den besonderen plastischen Ansatz Dunkels Werks
hervorhob, inwendig voller Figur, abbildhaft
doch voller Form.
Dazu eine passende Anekdote:
Bei einer der Dunkel-Ausstellungen stellte sich
ein Besucher als ehemaliger Student Dunkels im
Kurs Plastisches Arbeiten nach der Natur
vor und erzählte mir Folgendes:
Dunkel hatte ein Aktmodell besorgt, das den
Studenten sehr beeindruckt hat, vor allem seine
Rundungen, die er versuchte möglichst plastisch
hervorzuheben. Bei dem Korrekturdurchgang
schnitt Dunkel mit dem Messer, das er zur Arbeit
benutzte, die ›gelungenen‹ Rundungen von dem
Tonmodell ab mit der Bemerkung: »Wir machen hier
keine Frauen, sondern Plastik.«
Weibliche Figur sitzend, 1969, Bronze auf
Granitzylinder, Höhe: 13 cm |
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Liegende weibliche Figur auf angegossenem Rechtecksockel, 1979,
Bronze, 14,5 × 32 × 14 cm
Idee, Titel und Auswahl Dunkels erster
Ausstellung in der Galerie am Gendarmenmarkt »Inwendig voller
Figur« waren die Idee von Dr. Maria Dunkel, als Projekt
besonders geeignet, das plastische Werk von Joachim Dunkel nahe
zu bringen, eben auch für mich, das ›Spröde‹, siehe Ankündigung,
als seine besondere, eigene Art plastisch zu begreifen und zu
erfassen.
Dankenswerter Weise hat Prof. Dr. Börsch-Supan zu allen drei
Ausstellungen, die ich zum Werk Dunkels realisiert habe, die
Laudatio gesprochen, wenn auch dessen Spezialgebiet bekannter
Weise ein anderes ist.
Er schätzte Joachim Dunkel sehr. In seiner Funktion als Kurator
der Berliner Schlösser, hatte er den Bildhauer kennengelernt,
als dieser seine Bozzetti / Entwürfe für vier der zwanzig
Attikafiguren auf dem Schloss Charlottenburg einreichte.
Zeitgenössische Bildhauer sollten Anfang der 70er Jahre dem
Barockbau angemessene neue Musen-Formulierungen vorschlagen.
Kalliope, aus: Vier Musen, 1971/72, Bozzetto zu Attika-Figuren
Schloss Charlottenburg, Aluminium, H: 75 cm /
Melpomene, aus: Vier Musen 1971/72, Bozzetto zu Attika-Figuren
Schloss Charlottenburg, Aluminium, H: 75 cm
Eiserner Minotaurus, 1995, Bronze, 1960, Eisen gerostet auf
Eisenbahnschiene, 36 × 17 × 12 cm / Stier, 1948, Bronze, 2010,
25 × 40 × 12 cm
Prof. Dr. Helmut Börsch-Supan zur Vernissage der
Ausstellung im stilwerk Berlin vom 17. November 2010 bis 8.
Januar 2011:
»Am Eingang - vielleicht haben es nicht alle bemerkt - steht ein
Werk des 23-Jährigen von 1948, vom Beginn seiner Tätigkeit als
Bildhauer. Es ist ein kleiner liebenswürdiger Stier, den man
streicheln möchte, so sanft sind die Wölbungen seines Körpers,
der zwar mit wenig Bodenhaftung dennoch fest auf seinen vier
Beinen steht. Den originalen Gips hat Maria Dunkel in Bronze als
Auflagenstück gießen lassen. Man bemerkt den Heiliger-Schüler.
Das Auge ist ein Loch, auch wenn die Augäpfel nicht da sind,
blickt das Auge vor dem Hintergrund der hellen Wand. …
Der Sprung von diesem Frühwerk über zwölf Jahre zu dem kleinen
rostigen Minotaurus auf einem Stück Eisenbahnschiene ist dann
ein gewaltiger. Der Unhold sitzt, fast thront er, gewalttätig
mit mächtigem Oberkörper und bösem Blick, während die
Unterschenkel wegzuschmelzen scheinen. Das ist Erinnerung an den
Krieg. …«
Berolina contemporary, 1987, Bronze, H: 31,5 cm (auf
Eisenplinthe 21 × 21 cm) / Säulentorso, 1980, Bronze farbig
gefasst, H: 140 cm / Figur H: 80 cm
... und weiter:
»Einen gewissen Zorn kann ich nicht unterdrücken. Wir haben in
Berlin vier angesehene Museen, die für diesen Bildhauer
zuständig sein müssten: die Nationalgalerie, die Berlinische
Galerie, das Kolbe-Museum und die Stiftung Stadtmuseum. Alle
vier kümmern sich nicht um Dunkel. Man vergleiche die Fürsorge,
die Wieland Förster von seiner Heimatstadt Dresden erfährt.
Aber: Det is Berlin. Nur da, wo es unbedingt sein muss, schaut
die Stadt zurück, sonst taumelt sie unter dem Beifall der Medien
zukunftsbesoffen kopfüber nach vorn. Umso wichtiger sind die
privaten Widerstandsgruppen. Eine vom Marktgeschehen bestimmte
Gesellschaft - das ist ja die unsere - beantwortet die
Qualitätsfrage ganz einfach: gut ist das, was hoch gehandelt
wird. Aber das Wort handeln hat zum Glück immer noch eine
doppelte Bedeutung, und handeln, wie ich es verstehe, sollte
immer an ein Sehen und Nachdenken gekoppelt sein.«
Das gilt insbesondere auch für den 100. Geburtstag Joachim
Dunkels am 19. Juli 2025, der von der kulturellen Öffentlichkeit
wahrscheinlich unbemerkt vorüberziehen wird.
Die repräsentative Joachim-Dunkel-Ausstellung findet statt im
Süden Deutschlands, in der Galerie der Stadt Fellbach vom 25.9.
bis 9.11.2025 auf zwei lichten Etagen. In Vorbereitung ist ein
Sammelband III zu Fragen der Joachim-Dunkel-Rezeption nach 2002.
»Dunkels Geheimnis« und »Dunkels Freiheit«, zwei Bände mit
Texten zum Leben und Werk , herausgegeben von Rosemarie und
Konrad Donhuijsen, sind erschienen im Ernst Warmuth-Verlag,
Tübingen Berlin
Die von Dunkel in Terrakotta modellierten etwa 100 Figuren zur
Geburt Jesu, zum privaten Gebrauch gedacht, zieht seit vielen
Jahren zu Weihnachten durch verschiedene Städte Deutschlands,
seit der Ausstellung im Berliner Keramikmuseum und in der Villa
Oppenheim in Berlin 2019 mit einem Katalog als Buch und als
Ausschneidebogen versehen, Herausgegeben von Waltraudt und
Günter Braun, erschienen ebenfalls im Ernst Warmuth-Verlag,
Tübingen Berlin.
Viele Ausstellungen mit Plastiken und Grafiken von Joachim
Dunkel gab es an vielen interessanten Orten unseres Landes,
meist initiiert von Maria Dunkel, immer realisiert von ihr.
Für mich ist Joachim Dunkel ein Höhepunkt in der figurativen
Plastik Berlins in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Während viele Bildhauer in dieser Zeit wie Bernhard Heiliger in
der Mitte ihres Weges die Figur verlassen haben, hat Joachim
Dunkel die Tradition der figürlichen Plastik in Berlin durch
eine neue Art plastischen Denkens und Fühlens, durch seine Art
der Brechung mit der Figur als Abbild diese verteidigt. Er
schwamm nicht mit in die Gegenstandslosigkeit, er erklomm eine
neue Höhe der Figur.
Weiblicher Torso, 1955, Eisen, 17 × 23 cm, Kunstgießerei
Lauchhammer / Große axial Sitzende auf angegossenem
Thonet-Stuhl, 1982, Bronze, 130 × 80 × 100 cm
Wenn hier Joachim Dunkel ausschließlich als Bildhauer
vorgestellt wird, darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass er
gleichfalls ein exzellenter Zeichner und Holzschneider war.
Hervorgehoben sei hier das Buch: Zeichnungen zu Reineke Fuchs
von Johann Wolfgang von Goethe: 1987 erschienen im Verlag
Willmuth Aventhövel, Berlin, 600er Auflage, nummeriert und
signiert.
Zum Abschluss noch einmal Helmut Börsch-Supan:
»Ich denke: sein
Werk gibt Maßstäbe, die wir dringend benötigen, an die Hand, und
es lehrt uns, Verantwortung für die Geschichte zu übernehmen, in
die wir verwickelt sind. Bei aller Vorsicht mit Superlativen
glaube ich doch, mit guten Gründen behaupten zu können, dass
Joachim Dunkel der beste West-Berliner Bildhauer seiner
Generation war, seiner Generation, d. h. derjenigen, die durch
das mit der Naziherrschaft verknüpfte Inferno der Kriegszeit im
Innersten erschüttert worden ist und im Wortsinn todernst war.
In dieser Einschätzung stehe ich nicht allein.«
Kommen Sie weiter gut durch die sommerliche Hitze und bleiben
Sie gesund,
Ihr Wilfried Karger
Weitere Plastiken von Joachim Dunkel können Sie auf der Website
www.kunsthandel-karger.com in der Rubrik
Künstler/Joachim Dunkel sehen, Preise fragen Sie bitte per
E-Mail an.
Werkaufnahmen: Hermann Büchner, Berlin, außer: Kreuzigung VIII,
Berolina contemporary, Weiblicher Torso (1955) + Porträtaufnahme: Nachlass Joachim
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